Über drei Millionen Schweizerinnen und Schweizer schauen sich jeden Monat Videos auf youtube.ch an, Tendenz steigend. Leser- und Zuschauerzahlen klassischer Medien dagegen befinden sich im Sinkflug. Vor diesem Hintergrund erstaunt, dass viele Schweizer Marken noch keine Werbestrategie für die grösste Online-Videoplattform der Schweiz haben.
Alle sind auf YouTube − nur nicht Schweizer Marken
Im April letzten Jahres schmiss Google eine Party im Zürcher Blok-Club. Die Stimmung war heiter, die Bands Zibbz und Hecht sorgten für Musik, Google-Schweiz-Chef Patrick Warnking und seine Mitarbeiter referierten. Anlass der Party: die Lancierung von YouTube Schweiz.
Google hat Grund zum Feiern. YouTube ist die grösste Videoplattform und die zweitgrösste Suchmaschine der Welt. Diese Grössenordnung gilt auch in der Schweiz, wo monatlich fast jeder Zweite YouTube öffnet und sich dort Videos anschaut. Der Grund für die Party in Zürich war natürlich nicht einfach der Launch der Domain www.youtube.ch, sondern die anrollende Monetarisierung der helvetischen Nutzerbasis.
Zwölf Millionen Views für einen Schweizer Brand
Das Potenzial von YouTube für das digitale Marketing ist gross. Die Korken knallen aber noch nicht so richtig in den Marketingabteilungen grosser Schweizer Marken. Bisher halten sich die hiesigen Unternehmen noch zurück mit Strategien für YouTube. Dies liegt wahrscheinlich daran, dass YouTube viele Facetten hat. Vielleicht fragen sich Werbeverantwortliche auch, in welcher Form kommerzielle Inhalte zwischen den viel zitierten Katzen- und Babyvideos Platz haben.
Auf YouTube gibt es natürlich viel mehr als Katzenvideos, wie ein eindrückliches Beispiel aus unserem Land illustriert: Eines der meistgeschauten Schweizer Videos der letzten Zeit ist ein Kurzfilm, der auf berührende Art zeigt, was passiert, wenn Menschen mit einer körperlichen Behinderung zum Vorbild für Schaufensterpuppen werden. Über zwölf Millionen Mal wurde er bisher weltweit angesehen, dreitausend Mal kommentiert. Produziert wurde er für einen Schweizer Brand – Pro Infirmis.
Onlinevideos: «too big to ignore»
Marken haben also Platz auf YouTube. Nicht nur das, sie tun gut daran, möglichst bald eine Strategie für YouTube zu erstellen. Denn die Videoplattform bietet viel Potenzial für gelungenes Marketing, wobei das oben genannte Beispiel von Pro Infirmis nur eine von vielen Ausprägungen ist.
Aus der Perspektive des Werbemarkts machen zwei Tatsachen YouTube zu einer unschlagbaren Plattform: Erstens hat das Videoportal eine riesige Nutzerbasis von über 3,1 Millionen Schweizerinnen und Schweizern pro Monat. Und zweitens ist YouTube ein Ort, an dem Menschen viel Zeit damit verbringen, Bewegtbild-Inhalte zu konsumieren.
Diese Kombination müsste Schweizer Marken mehr als hellhörig machen. Seit Jahren kämpfen Werbetreibende mit einer Fragmentierung des Medienkonsums und dem damit einhergehenden Verlust an Reichweite. Die Problematik gilt besonders im TVMarkt und bei einem jungen Zielpublikum.
Doch während Schweizer Unternehmen nach wie vor ein Werbebudget in klassische Medien investieren, das überproportional hoch ist im Vergleich zur tatsächlichen Mediennutzung (vgl. «persoenlich.com»; http://wbrp.li/1easXwS), bleibt das stark genutzte YouTube relativ unbeachtet. Dass YouTube in der Mediaplanung vieler Unternehmen noch nicht auftaucht, ist erstaunlich, lässt sich doch dort genau jene junge Nutzerschaft, die klassische Medien immer häufiger meidet, mit Bewegtbild-Spots und in grossen Zahlen erreichen.
Was aber soll denn eine Marke auf YouTube nun genau machen? Eine mögliche Antwort lässt sich in drei Phasen gliedern:
1. Phase: der Brand-Kanal als Fundament
Ein eigener gut strukturierter Brand-Kanal ist der Kern der Markenpräsenz auf YouTube. Hier sitzen die Videos eines Unternehmens in verschiedenen Kategorien. Dies zwingt das Unternehmen, sein vorhandenes Videomaterial zu sortieren sowie dessen Zielgruppen und Zweck zu reflektieren. Nicht vergessen: User suchen auf Youtube nach TV-Spots, die ihnen gefallen. Jede Marke, die dann nicht präsent ist, verzichtet auf kostenlose Sichtbarkeit.
2. Phase: Reichweite generieren
Ist das Videomaterial einmal hochgeladen, kann ein Publikum dafür gefunden werden. Sie haben einen 20-Sekunden-Spot? YouTube ermöglicht Bewegtbild-Werbung, die ähnlich funktioniert wie im TV – nur besser. Findet ein User den Werbespot unattraktiv, überspringt er ihn einfach nach fünf Sekunden. Tatsächlich überspringen die Leute die Werbespots häufig, ausser ein Clip wird eben doch als relevant empfunden. Unsere Zahlen zu den angesehenen Spots zeigen ein sehr hohes Volumen an Ansichten. Das Potenzial ist dabei noch längst nicht ausgeschöpft. Dazu kommt, dass sich der Streuverlust in Echtzeit verringern lässt: Sie stellen fest, dass männliche User zwischen 35 und 45 Ihren Spot kaum anschauen? Verringern Sie die Gebote und das Budget dieser Kampagne. Ganz nebenbei können Sie Marktforschung betreiben, indem Sie zwei Spots gegeneinander laufen lassen und ihre Performance vergleichen.
3. Phase: ein Rockstar sein
Die Königsdisziplin von YouTube beziehungsweise von Onlinevideos überhaupt ist die Viralität. Gewinner sind diejenigen Unternehmen, die eine geniale Idee haben, Humor beweisen, Emotionen wecken, selbstironisch sind. Vom Safety-Video der Air New Zealand (über 11 Mio. Views), über den Werbespot von One Dollar Shave Club (über 13 Mio. Views) bis zu Felix Baumgartners Sprung aus dem All für Red Bull (über 30 Mio. Views) gibt es Dutzende von Beispielen für erfolgreiche Online-First-Strategien der Videoproduktion.
Millionen von Augenpaaren
Die dritte Phase zu erreichen ist schwierig. Doch es gibt genug einfache Massnahmen, die ein Brand − auch ein kleiner − hier und jetzt umsetzen kann und sollte. Es geht dabei nicht nur um das riesige Potenzial von «Owned Media». Es geht auch nicht allein um die einzigartige Messbarkeit von Bewegtbild-Werbung oder um die Möglichkeit, ein grosses Banner-Format auf der YouTube-Startseite zu platzieren, das an einem Tag mehr Menschen erreicht, als Passagiere durch den Zürcher Hauptbahnhof reisen.
Das ist alles cool, aber es geht um mehr. Es geht um die Veränderung der Mediennutzung. Die über drei Millionen Augenpaare, die jeden Monat in Schweizer Haushalten YouTube-Videos schauen, rechtfertigen allein schon eine deutlich höhere Euphorie bei Werbetreibenden, als sie jetzt spürbar ist. Die Feierlaune, die im letzten April an der Google-Party herrschte, ist − sehr zu Unrecht − noch nicht in den Schweizer Marketingabteilungen angekommen.
One Dollar Shave Club: https://www.youtube.com/user/DollarShaveClub/
Air New Zealand: https://www.youtube.com/user/airnewzealand/
Red Bull: https://www.youtube.com/user/redbull
Dieser Artikel ist in Persönlich Nr. 03, 2014 erschienen.
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