«Alle Marketeers brauchen Lösungen, die ohne Cookies funktionieren»

Publiziert am 04.08.2022

Third-Party-Cookies waren einst ein integraler Bestandteil der meisten Onlinemarketing-Kampagnen. Heute blocken jedoch Browser wie Firefox und Safari die kleinen Textdateien, die ein sehr präzises Targeting und das Wiedererkennen gleicher User:innen in einem neuen Umfeld ermöglichen. Gemäss aktuellen Angaben von Google ziehen sie mit Chrome bis 2024 nach. Das Ende der Third-Party-Cookies ist jedoch nur einer von vielen Aspekten rund um den Trend in Richtung datenschutzkonformes Marketing. Wie geht es weiter?

«Man muss Digitalmarketing neu denken», meint Marcel Sprecher, Principal Consultant bei Webrepublic. Er hat über zehn Jahre Erfahrung – von SEA über Programmatic Advertising bis hin zu Consulting von Kunden aus diversen Branchen. Im Gespräch mit Katja Büchi, Co-Head Communications & New Business, zeigt der Experte auf, wie Unternehmen das Thema am besten anpacken.

Katja Büchi: Das Ende von Third-Party-Cookies ist seit einer gefühlten Ewigkeit Thema in der Marketingbranche. Gibt’s dazu überhaupt noch etwas zu sagen?
Marcel Sprecher: Auf jeden Fall. Es ist äusserst wichtig, diesen Diskurs am Laufen zu halten. Basierte in der Vergangenheit der Grossteil von digitalem Marketing im weitesten Sinne auf der Cookie-Technologie, wird es in Zukunft keine «One-size-fits-all»-Lösung mehr geben. Verschiedene Player wie Meta oder Google entwickeln mit Hochdruck neue Ansätze. Dies führt dazu, dass es zu einer Fragmentierung des Marktes kommen wird. Um sich in diesem fragmentierten Umfeld zurechtzufinden, ist es für Marketeers essenziell, die Entwicklungen zu verfolgen und mittelfristig die richtige Lösung für ihr Unternehmen zu finden.

Demnach sprichst du auch mit Kund:innen häufig darüber. Welche Frage brennt ihnen auf den Nägeln?

Die meisten machen sich Sorgen ums Retargeting und fragen, ob dieses künftig noch funktionieren wird.

Sind diese Sorgen berechtigt?

Fakt ist, dass Cookie-basierte Retargeting-Listen kleiner werden und demzufolge ein Cookie-basiertes Retargeting in gewissen Umfeldern bereits jetzt kaum mehr möglich ist. Wichtig dabei ist aber, dass es nicht nur um den Wegfall von Third-Party-Cookies geht. Das ist lediglich ein Symptom der gesamten Entwicklung in Richtung verstärkter Datenschutz. Zum neuen Datenschutz gehören beispielsweise auch die Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union (DSGVO) und Consent Management Platforms. Diese Entwicklung muss holistisch betrachtet und angegangen werden.

Letzte Woche hat Google das Ende der Unterstützung von Third-Party-Cookies im Chrome Browser nochmals nach hinten geschoben. Neu ist die Rede vom zweiten Halbjahr 2024 – ursprünglich war es für dieses Jahr geplant. Kommt es dann wirklich?

Ich denke schon, aber das ist gar nicht so relevant. Marketeers brauchen so oder so Lösungen, die ohne Cookies funktionieren. Zum einen haben andere Browser wie Safari oder Firefox schon lange strengere Privacy-Richtlinien. Zum anderen ist das gesamte App-Umfeld ohnehin nicht Cookie-basiert. Kurz: Die Möglichkeiten, auf Third-Party-Daten basierendes Marketing zu betreiben, werden nach und nach kleiner – bis sie ganz verschwinden. Der geplante Wegfall im Chrome ist nur ein Teil des grossen Ganzen.

Wir müssen uns also wappnen. Darum nochmals ganz konkret: Auf was müssen sich Unternehmen einstellen, wenn Marketing, das auf Third-Party-Cookies basiert, nicht mehr möglich ist?

Der konkrete Impact auf einzelne Unternehmen unterscheidet sich stark: je nach ihrem Set-up und Marketingfokus. Zwei Beispiele: Ein E-Commerce-Anbieter, der für die Aussteuerung seines Paid-Search-Budgets auf akkurate Tracking-Daten angewiesen ist, muss sich damit auseinandersetzen, dass diese Daten ohne Third-Party-Cookies deutlich weniger präzise sind. Ein Luxusbrand, der noch klassischer unterwegs ist und hauptsächlich auf TV und Out-of-Home setzt, wird sich sehr viel weniger mit der Cookieless Future befassen müssen.

Welche Auswirkungen werden Firmen spüren, die die aktuellen Entwicklungen ignorieren und ihr Marketing nicht adaptieren?

Mittelfristig werden sowohl die Erfolgsmessung von Kampagnen als auch das Audience Targeting und das Retargeting nicht mehr auf die gleiche Art und Weise möglich sein. Zur Veranschaulichung nehmen wir nochmals den vorhin erwähnten E-Commerce-Anbieter: Dieser wird eine immer grösser werdende Lücke zwischen seinen Werbeausgaben und der Werbeleistung bemerken. Dies muss aber nicht der Realität entsprechen, sondern ist auch ein Zeichen dafür, dass die Messbarkeit der Werbeleistung sinkt. Eine mögliche Lösung dafür ist, mehr mit Modellierungen zu arbeiten statt nur mit den tatsächlich gemessenen Werten. Google Ads macht das übrigens schon länger so – auch wir arbeiten damit.

Das Thema «Data Privacy in Marketing» enthält zig verschiedene Aspekte: vom technischen Set-up über rechtliche Richtlinien bis hin zu Targeting und Tracking. Damit überschreitet es wohl das, was viele unter «Marketing» verstehen. Wie soll man das aus organisatorischer Perspektive am besten anpacken?

Ich empfehle, als Erstes eine Auslegeordnung für das Marketing des eigenen Unternehmens zu machen. Und es ist definitiv ein Thema, das man interdisziplinär angehen muss: Idealerweise sind da Expert:innen aus den Bereichen Marketing, Technik und Legal dabei. Es geht um Fragen wie: Wie messen wir den Erfolg unserer Kampagnen? Welche Art von Targeting wählen wir? Wie stark sind wir von Third-Party-Audiences abhängig? Erst wenn diese Punkte beantwortet sind, ist es möglich, zu beurteilen, wie stark ein Unternehmen von den Entwicklungen betroffen ist. Danach lässt sich ein gezieltes Vorgehen ableiten, das für das Unternehmen sinnvoll ist. Je nach Ziel könnten beispielsweise Targetings zum Einsatz kommen, die nicht auf individuellem User:innen-Verhalten beruhen, sondern auf Attributen wie Ort, Zeit oder Kontext. Wenn man sich zuvor stark auf Retargeting verlassen hat, braucht es eine Überarbeitung der Strategie. Wer darauf angewiesen ist, seine Conversions, also z. B. Käufe im Webshop, zu tracken, muss sich dringend mit statistischer Modellierung beschäftigen.

Nehmen wir an, die Dringlichkeit ist in der Marketingabteilung angekommen. Wie überzeugt sie nun die Geschäftsleitung davon, dass sie in diesen Transformationsprozess investieren sollte?

Das kommt jetzt wieder sehr stark auf die Resultate der Auslegeordnung an. Denn der Handlungsbedarf und dessen Dringlichkeit sind nach wie vor sehr individuell. Gehen wir davon aus, dass das aktuelle Set-up stark von Third-Party-Daten abhängt und die erwähnte Auslegeordnung zeigt, dass der Erfolg der aktuellen Marketingstrategie nach und nach kleiner wird – dann sprechen die Zahlen und Prognosen eine klare Sprache. Wichtig ist auch hier, das Anliegen holistisch zu betrachten: Es geht nicht nur um den Wegfall von Third-Party-Cookies, sondern um einen gesamtheitlichen Transformationsprozess von Digitalmarketing. Diese Botschaft muss vermittelt werden.

Der Transformationsprozess hört sich ziemlich ressourcenintensiv an. Vom personellen Aufwand einmal abgesehen, kommen eventuell auch neue Tools und Technologien hinzu. Mit welchem Aufwand müssen Unternehmen rechnen?

Auch das ist sehr individuell – deswegen kann ich nur pauschal antworten (lacht): Alles kann, wenig muss.

Je mehr man sich mit der Thematik befasst, desto stärker kommt das Gefühl auf, dass aktuell die Regeln von digitalem Marketing neu geschrieben werden.

Damit liegst du nicht falsch. Meiner Meinung nach findet gerade einer der grössten Umwälzungsprozesse im Digitalmarketing statt. Doch vieles steht noch in den Sternen: Wie wird sich die juristische Auslegung der DSGVO gestalten? Welche Pfeile hat Apple, ein Konzern, der stark auf Privacy setzt, noch im Köcher? Wie geht die Debatte in den USA um das vermeintliche Monopol von Google weiter?

Ich bin ein grosser Verfechter der Devise «Uncertainty creates opportunity»: Wer neugierig bleibt, offen für Neues ist und sich stetig weiterbildet, der hat beste Chancen, daraus Vorteile zu schöpfen und die Konkurrenz hinter sich zu lassen.

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